Fehler verzeihen
Wir sind nie alt genug…
Den perfekten Menschen, gibt es den? Nein. Woran auch immer wir uns messen, es gelingt uns nicht, perfekt zu werden. Vielleicht schaffen wir es, einen Teil unserer Fähigkeiten so zu kultivieren, dass wir diesen oft ziemlich fehlerfrei umsetzen können. Das macht uns dann zu Menschen, die möglicherweise, je nach Disziplin, von Anderen bewundert werden. Gute Beispiele kennen wir aus dem Leistungssport. Im Alltag, also in der Öffentlichkeit, im Berufsleben oder in der Familie müssen wir oft so spontan und schnell entscheiden und handeln, dass Fehler kaum zu vermeiden sind und dazu gehören.
Wir sind alles Menschen
Grundsätzlich leben wir in einer Gesellschaft, in der es immer auch wieder „menschelet“. Will heissen, dass uns stetig kleinere oder grössere Fehler unterlaufen. Wie schnell spielen unser Gefühle mit, in einer Sache, in welcher man eigentlich objektiv urteilen und entscheiden sollte. Wenn jemand verärgert ist, handelt er oft unüberlegt. Wie oft geht etwas in der Hektik des Alltags unter, bleibt unerledigt oder wird lange Zeit verzögert. Wie schnell vergessen wir eine Abmachung, ein Versprechen oder halten uns nicht an Dinge, die uns eigentlich wichtig wären. Oder, wer kennt sie nicht, die rosa Brille des „ersten Verliebtseins“ die uns zu seltsamen Handlungen verleitet, die wir später manchmal als Fehler einsehen müssen.
Was mich nicht umbringt macht mich stark!
Fehler gehören zum Leben, vor allem helfen sie uns, dazuzulernen. Fehler erzeugen, wissenschaftlich belegt, den grössten Lerneffekt. Wer sich einmal die Finger auf der heissen Herdplatte verbrannt hat, hat mit grosser Sicherheit gelernt, dies nie mehr zu tun. Eine Anhäufung von Fehlern führt uns manchmal in eine Krise. Je nach persönlicher Haltung gegenüber dem Leben, sehen wir die Krise als Chance, schöpfen daraus neue Kräfte und ändern etwas in unserem Leben: wir haben aus Fehlern gelernt. Fehler können auch tödlich sein. Ein falscher Entscheid beim Skifahren an einem lawinengefährdeten Hang kann uns unser Leben kosten. Ein in der Hektik unüberlegtes Hetzen über eine Strasse kann zu unserer letzten Handlung in unserem Leben werden.
Meine Seite heisst: carpediem. Sollen wir also anfangen, unsere Fehler zu geniessen, sie gar absichtlich zu begehen? Nein natürlich nicht! Aber wir können, nachdem wir einen Fehler gemacht haben, den Prozess geniessen, der damit generiert wurde. Einen Prozess, der uns weiterbringt, der uns wachsen lässt. Grundsätzlich sollten wir darauf bedacht sein, Fehler zu vermeiden. Es kann nämlich nicht unser Bestreben sein, viele Fehler zu machen, damit wir möglichst viel lernen.
Mit Fehlern umgehen
Wir reden von einer Fehlerkultur in einer sozialen Gemeinschaft, wenn diese imstande ist, konstruktiv mit Fehlern umzugehen. In der Fehlerkultur gibt es Täter und Opfer. In der Regel macht jemand einen Fehler, andere leiden darunter. Wobei auch hier, ähnlich wie bei Konflikten, nicht immer klar ist, ob Täter und Opfer jeweils so deutlich voneinander unterschieden werden können. Was ist eine funktionierende Fehlerkultur? Im nachfolgenden Beispiel erzähle ich von Walter und Barbara.
Gut gemeint – falsch verstanden
Walter geht oft sehr offen und direkt auf Leute zu. Es passiert zuweilen, dass diese sich bedrängt fühlen. Walter überfährt sie oder kommt ihnen zu nahe. Manche sind es nicht gewohnt, so direkt zu kommunizieren, erschrecken, haben Misstrauen oder bekommen Angst.
Walter hat durch seine Art Barbara erschreckt, irritiert oder ist ihr zu nahe getreten. Nun merkt Walter das nicht, weil es ja nicht gewollt ist. Barbara hat ein ungutes Gefühl und redet mit anderen darüber. Sie distanziert sich von Walter, reagiert seltsam, wenn dieser versucht mit ihr zu kommunizieren, weicht sie Walter aus. Er merkt, da stimmt etwas nicht. Walter möchte das klären. Am besten im persönlichen Gespräch. Als er Barbara anspricht – das gelingt ihm kurzfristig nur per chat – und gerne wissen möchte, was es für ein Problem gebe, kommt ziemlich klar zum Ausdruck, dass einiges in dieser Kommunikation bei Barbara falsch angekommen ist. Die erste schnelle Reaktion von Walter ist dann, sich zu verteidigen oder zu rechtfertigen. Dies, weil er ja aus seiner Sicht nichts falsch gemacht hat.
Fehler im Gespräch klären
Wesentlich aber ist in einer Fehlerkultur nicht das, was Walter gemacht hat, sondern, wie sein Verhalten bei Barbara angekommen ist, bzw. was es bei ihr ausgelöst hat. Dazu gibt es nur eine einzig mögliche vernünftige Reaktion. Walter entschuldigt sich für sein Verhalten, weil dieses aus Sicht von Barbara falsch war. Der nächste Schritt in dieser Kommunikationskette ist, dass Barbara bereit ist, Walters Entschuldigung anzunehmen. Ist das geklärt, hat Walter natürlich ein grosses Interesse zu erfahren, was genau in seiner Kommunikation falsch angekommen ist. Weil er dazulernen möchte. Weil er sein Kommunikationsverhalten ändern möchte. Natürlich hätte das viel schneller passieren können, wenn Barbara von Anfang an reagiert hätte und sich Walter gegenüber entsprechend geäussert hätte. Wenn, wäre, hätte, … Hat es aber nicht und das ist einfach so.
Fehler vergeben
Wenn Walter in einem Klärungsgespräch einsieht und versteht, was bei Barbara negative Gefühle ausgelöst hat, weiss er auch, wofür er sich entschuldigt hat und was er künftig verbessern kann. Wenn Barbara echt bereit ist, die Entschuldigung zu akzeptieren und Walter seinen Fehler zu verzeihen, zu vergeben, dann sollte die Beziehung für die Zukunft wieder geklärt sein. Zwei Menschen haben sich versöhnt. Im Besten Fall trifft man eine Abmachung, z.B. dass Barbara künftig früher reagiert, wenn Walters Kommunikationsart bei ihr schlechte Gefühle auslöst.
Es geht im Wesentlichen also nicht darum, dass man keine Fehler machen darf, sondern wie man mit Fehlern und den davon betroffenen Menschen umgeht, bzw. was man daraus lernt. Es braucht die Bereitschaft von allen Beteiligten, Fehler zu klären, einzusehen und zu vergeben. Wenn wir das im Kleinen schaffen, gibt es auch Chancen in den zurzeit schwelenden Konflikten auf der ganzen Welt mit Fehlern konstruktiv umzugehen und entsprechend nach Versöhnungsmöglichkeiten zu suchen.
twb